ttt: Tipps, Trends, Themen vom Coach – Thema: Von Helden, Führungs­kräften und anderen Super­männern

Ein Indianer kennt keinen Schmerz, Führungs­kräfte keine Angst. Zumindest würden einige – meist männlichen – Coaching-Klienten von Bernd Taglieber diesen Begriff zur Beschreibung ihrer Gefühlslage nicht verwenden.

Stress haben sie, klar. Unter Druck stehen sie, kommt vor. Aufgeregt sind sie, ab und zu. Aber Angst?

Angst, so weiß Führungs­kräfte-Coach Bernd Taglieber aus seiner langjäh­rigen Erfahrung, Angst kommt weder als Begriff in der Sprach- noch als Gefühl in der Emoti­ons­land­karte vieler Menschen vor.

Doch woher kommt das? Wie äußert sich ein fehlendes Angst­emp­finden? Wie entwi­ckelt sich Angst bzw. Angst­kom­petenz? Welche Rolle spielen Gefühle im Leben und Handeln von Menschen? Welche Bedeutung hat das Fehlen von Angst? Und schließlich: wie gewinnt man ein gesundes Angst­gefühl?

Wozu Angst?

Diese Frage mag sich manch einer stellen, der von seinem Coach mit der Diagnose „fehlende Wahrnehmung von Angst“ konfron­tiert wird. Schließlich erfahren insbe­sondere Jungen in den Lernfeldern Elternhaus, Schule und Beruf häufig, dass sichtbare Ängst­lichkeit als unmännlich konno­tiert wird, angreifbar macht und sich als schädlich für manchen Karrie­reweg – von der Aufnahme in die Bande der coolen Jungs bis hin zum beruf­lichen Vorwärts­kommen – erweist.

So wird Führung – ob im Unter­nehmen oder in der Jugend­bande – häufig verknüpft mit Begriffen wie Kampf, Kämpfen, Gewinnen, Siegen, Besser sein als andere – und damit ein Bild vom Manager geprägt als derjenige, der Helden­haftes vollbringt, Außer­ge­wöhn­liches schafft und sicher und gerad­linig alle Klippen umschifft, eben Kämpfe besteht.

„Ein Segen“, so Bernd Taglieber, „seien daher neuere Führungs­phi­lo­so­phien, die in Medien wie der Zeitschrift „Revue für posthe­roi­sches Management“ ihren Ausdruck finden. Hier wird diesem Führungs­hel­dentum entge­gen­steuert und alter­native Grund­ge­danken des Managens sowie Motiva­tions- und Handlungs­grund­lagen entwi­ckelt“.

Die Entwicklung von Angst und Angst­kom­petenz

Alle Menschen haben – davon kann man ausgehen – in ihrer Entwicklung Beängs­ti­gendes erlebt und damit auch Zugang zu einem Gefühl wie Angst entwi­ckelt. Gleich­zeitig haben manche Menschen, insbe­sondere Jungen, in ihrer Prägungs­phase erfahren, dass es nicht passend ist, Angst zu haben.

Anerkannt werden vielmehr Helden-Figuren wie Superman, Spiderman, Winnetou, …, die mutig und entschlossen in allen Lebens­si­tua­tionen Gefahren meistern. Aber auch das Vorleben durch Eltern und Freunde trägt dazu bei, dass manche Menschen früh gelernt haben, Gefühle wie Angst zu unter­drücken, ja regel­recht „wegzu­spüren“. „Wer ein Leben lang geübt hat, Gefühle wie Angst, Trauer und Wut zu unter­drücken, dem gelingt das gut“, erklärt Bernd Taglieber und warnt „doch damit fällt ein wichtiger Indikator für Entschei­dungen weg.“

Menschen, die kein Angst­emp­finden mehr haben, haben einen körper­ori­en­tierten Mecha­nismus entwi­ckelt, Angst nicht mehr zu spüren. Sie können körper­liche Anzeichen von Angst wie Kurzat­migkeit, Brust- statt Bauch­atmung, Augen­re­ak­tionen oder Pulser­höhung in so hohem Maße ausblenden, dass nichts mehr in ihrer Wahrnehmung ankommt. Vielmehr noch: auch von außen können Gesprächs­partner kaum noch Angst­re­ak­tionen wahrnehmen.

Rückschlüsse darauf, dass trotzdem eine unter­gründige Angst vorhanden ist, können jedoch aus subti­leren körper­lichen Reaktionen gezogen werden. So beginnt der Betroffene zu frieren, weil der Kreislauf absackt, die Durch­blutung reduziert und die Körper­tem­pe­ratur gesenkt ist. Auch Müdig­keits­er­schei­nungen, wie Gähnen, können ein Anzeichen sein.

Proble­ma­tisch, so Bernd Taglieber, sei nun aber, dem Klienten zu verdeut­lichen, dass diese körper­lichen Reaktionen auf Angst zurück­zu­führen seien – ein Gefühl, für das diese Menschen weder ein Empfinden haben noch es als lohnenswert erachten, diese Gefühls­mög­lichkeit zu erwerben. Es sei, wie wenn man jemandem, der schon immer eine Brille mit blau-gefärbten Gläsern trüge, erkläre, dass er nur blau sehe. Darüber hinaus sei der Anspruch groß, dem „Helden“ die Nachteile seines reduzierten Empfindens zu verdeut­lichen und Angst als Berei­cherung anzudienen.

Zunächst gelte es daher, an die Ursprünge der persön­lichen Angst­dy­namik zu gelangen, um zu erkennen, wie sich die Angst­er­fahrung und die Art des Umgangs als Muster konstruiert haben.

Denn Situa­tionen, in denen ein Kind Angst und Angst­ver­ar­beitung erlebt hat, können sehr unter­schiedlich sein. Die verschie­denen Glaubens­sätze und Strategien, um Ängste zu unter­drücken, lassen sich dagegen gut fassen:

o    Sei devot, mach dich klein

o    Meide Situa­tionen, die angst­be­setzt sind

o    Lenk dich ab, konzen­triere dich auf Dinge, die Aufmerk­samkeit fordern

o    Augen zu und durch

o    Reiß dich zusammen, sei hoch angespannt

o    Lass es dir nicht anmerken

o    Halt dich im Hinter­grund

o    Drück dich, schau, dass du um die Situation herum­kommst

o    Leg dich nicht fest

Die Arbeit des Coachs

Trifft der Führungs­kräfte-Coach auf einen Klienten mit geringer Angst­kom­petenz, so versucht er zunächst zu verstehen, welchen Mustern und Muster­kon­struk­tionen der Angst sowie der jewei­ligen Lösungs­stra­tegie zugrunde liegen. Um dann alter­native Fühl‑, Denk- und Verhal­tens­muster mit dem Klienten zu erarbeiten.

Dabei geht es nicht darum, die Situa­tionen und Gefühle, die das Kind erlebt hat, nochmals zu durch­leben. Sondern zu erkennen, aus welchen Aspekten sich das spätere jeweilige Muster zusam­men­setzt bzw. „geformt“ hat, um die Ausprä­gungen im Hier und Jetzt zu verstehen. Erst wenn klar ist, wie sich das Grund­muster entwi­ckelt hat, gibt es Wege, aus diesem wieder heraus­zu­kommen.

Mitgehen mit dem Muster, aber mit Niveau­stei­gerung

In aller Regel enthalten die proble­ma­ti­schen Gewohn­heits­muster durchaus Elemente, die schon einen Lernfort­schritt darstellen, bzw. für den Kontext unumgänglich sind.

So berichtet Bernd Taglieber von einem seiner Coaching­kli­enten, der als ehema­liger Stotterer immer noch leichte Probleme mit Hängen­bleiben und Verhaspeln hat. In seinem beruf­lichen Alltag hat er keine Möglichkeit, das Sprechen vollständig zu vermeiden. Tatsächlich hat er auch erheb­liche Fortschritte im Laufe der Jahre erzielt. Ausgehend von massivem Stottern als Kind, kann er heute, erstaun­li­cher­weise besonders vor größeren Menschen­gruppen, fast flüssig reden.

„Im Coaching­prozess“, so Bernd Taglieber, „stoßen wir auf erstaun­liche Muster­ver­än­de­rungen über die Jahre, die alle Verbes­se­rungen mit sich brachten. So hat z.B. die erste Freundin, mit ihrer unter­stüt­zenden Art, zu großen Lernfort­schritten beigetragen. Spannend wird es nun, wie der Klient selbst den Lernprozess beschreibt. Er habe angefangen, sich seinen zu sprechenden Text als geschriebene Sprache vorzu­stellen. Dabei wird auf Nachfrage klar, dass es sich nicht um gedruckte Schrift handelt, sondern um einen Tafel­an­schrieb in Schreib­schrift. So kann er nach seiner Idee, die proble­ma­ti­schen Buchstaben antizi­pieren und besser bewäl­tigen.

Vermutlich kommt aber die Verbes­serung über eine Verlang­samung des Sprech­tempos. Ein Logopäde wollte ihm in seiner Kindheit langsa­meres Sprechen beibringen, er selbst hat aber eine entge­gen­ge­setzte Lösungs­va­riante über schnelles Sprechen, sozusagen auf einem Atem, heraus­ge­funden. Erst über innere Beobachtung der geschrie­benen Sprache verlang­samte und verbes­serte sich der Sprach­fluss.

Als erster Trainings- und Muster­ver­än­de­rungs­schritt wurde vereinbart, dass er sich auf die leicht und flüssig gehenden Buchstaben konzen­triert. Dort wurden 3 ausge­wählt, denen die ganze Aufmerk­samkeit beim Sprechen gewidmet werden sollte (Umfokus­sieren der Aufmerk­samkeit vom Proble­ma­ti­schen zum Gelin­genden).

Verbes­serung durch Muster­ver­än­derung

Diese Muster­ver­än­derung brachte nachhaltige Verbes­serung, sodass er von seiner Umgebung positive Rückmel­dungen erhielt. Solcherart gestärkt, wand er sich jetzt dem proble­ma­tischsten Kontext zu, dem Telefo­nieren am Festnetz­an­schluss. Inter­es­san­ter­weise waren die Probleme geringer, wenn er über Handy, und noch geringer, wenn er über die Freisprech­anlage telefo­nierte. Das Ursprungs­muster war einer beson­deren Aktion aus seiner Kindheit zuzuordnen. Zu Hause hatten ihm seine Eltern zu verstehen gegeben, dass er nicht ans Telefon gehen sollte, wenn Anrufe kamen. Lediglich wenn er zur Oma wollte, bei der er sich telefo­nisch anmelden musste, durfte oder sollte er dies selbst tun. Dabei stand er unter Beobachtung seiner wichtigsten Bezugs­per­sonen Mutter und Großmutter und er bewegte sich auf einem schmerz­lichen Stress­level. Bis in die Gegenwart war dieser Muster­aspekt mit Stress und Sprech­pro­blemen belegt (Dominanz­mus­ter­aspekt).“

Über viele Jahre oder gar Jahrzehnte verfes­tigte Muster sind auch neuro­lo­gisch, körperlich fixiert. Deshalb sind sie auch nur über körper­be­zogene Muster­ver­än­de­rungen erreichbar.

„In unserem Fall“, Bernd Taglieber weiter, „wollten wir einen größt­mög­lichen Unter­schied zu den Handlungs­ab­läufen, und damit zu den körperlich fixierten Prägungen erreichen. Nach exakter Beobachtung der gewohnten Handhabung haben wir uns auf folgende Änderungen verständigt: Er nimmt das Telefon grund­sätzlich mit der linken Hand ab. Er wählt, wenn er jemanden anrufen möchte, mit der rechten Hand. Er hält das Telefon ans linke Ohr. Beim Sprechen bleibt er mit seiner Aufmerk­samkeit bei den gelin­genden Buchstaben.

Schon nach 3 Wochen Trainingszeit gelingt das Telefo­nieren fast stressfrei (Sein Ziel war, das Stress­level um 50% zu senken).

In dieser Art der Muster­ver­än­derung haben wir weiter gearbeitet und der Klient hat sich ein störungs­freies Sprechen angeeignet, das ihm zwar immer noch hohe Aufmerk­samkeit abver­langt, aber mehr und mehr zur neuen Gewohnheit wird.“

Auswir­kungen auf die Wahrnehmung durch andere im Arbeits­kontext

Die Auswir­kungen von Ängsten, Gefühl­sum­po­lungen und Umgangs­stra­tegien auf die eigene Person sind die eine Sache. Wie aber nimmt die Außenwelt die Person und deren Handeln wahr?

Nimmt man beispiels­weise die Strategie „schnell durch“, so bedeutet das für den Klienten selbst zunächst einen Lösungsweg, um aus negativen Gefühlen heraus­zu­kommen – ohne groß nachzu­denken, einfach schnell. Wenn es beispiels­weise darum geht, eine Präsen­tation zu erstellen, so erleben Führungs­kräfte und Kollegen, die mit diesem Muster konfron­tiert sind, ihrer­seits hingegen eher eine Arbeit, die sie als nicht solide genug, nicht seriös oder ohne ausrei­chende Sorgfalt erleben.

Wenn man die Strategie „leg dich nicht fest“ von beiden Richtungen beschaut, so stellt man wieder auf der einen Seite einen Lösungsweg fest, der für den Klienten eine Vermeidung von Ärger bedeuten kann, weil er – so zumindest seine Sicht auf die Dinge – keinem auf die Füße tritt. Der Eindruck seiner Gegenüber ist aber häufig ein anderer: Sie erleben jemanden, der keine eigene Meinung zu haben scheint, der sich zu wenig oder zu unpoin­tiert äußert und dadurch nicht greifbar wird, sich glitschig und wabbelig anfühlt.

Bei der Strategie „devotes Verhalten“ wird der Betroffene von einem inneren Kritiker geführt, der in ihm flüstert: „es ist zu schwierig für dich, dem bist du nicht gewachsen, das überfordert dich“. Somit wird ein kritisch-herab­wür­di­gendes Behandeln, z.B. durch Chef oder die Partnerin, einer­seits provo­ziert, gleich­zeitig wird die eigene Würde nicht entspre­chend verteidigt. Ein Teufels­kreis kann also seinen Lauf nehmen.

Man sieht: Der Mensch denkt, fühlt und handelt aus seiner indivi­du­ellen Weltsicht heraus. Kommen keine Impulse von außen – zum Beispiel durch ein Coaching – dreht sich der Klient im Kreis, wenn er nach Lösungen sucht.

Lösungen

Die Ursachen eines Angst­musters, dessen Ausprä­gungen und wie jemand damit umgeht, sind ausschlag­gebend, um andere Gefühle einleiten zu können und einen erfolg­reichen Verän­de­rungs­prozess zu starten.

Dabei hilft das Bewusstsein, dass das Maß an Angst nicht nur vom hier und heute gespeist wird, sondern aus der Situation von damals. Denn diese Ängste sind in ihrer Dynamik entstanden zwischen dem 2. und dem 7. / 8. Lebensjahr, d.h. in einer Zeit, in der das Kind eine magische Weltsicht besitzt, Ursachen und Wirkung phanta­sievoll konstruiert und auf sich bezieht.

Bernd Taglieber: „Das hat zum einen eine oftmals überstei­gerte, aber unter­drückte und ausge­blendete, Angst­re­aktion zur Folge, und zum anderen ist sie gekoppelt mit hinder­lichen – im Fachjargon „grandios“ genannten – Phantasien“. Erst wenn die Entste­hungs­dy­na­miken erkannt und die magischen Konstrukte gelöst werden, können die überstei­gerten Gefühle in einen Normal­zu­stand geleitet werden.

Ein neues Erlebens­muster kann eingeübt werden.

Fazit:

Jeder Mensch hat Ängste. Nur: die einen gestehen sich das ein, die anderen haben gelernt, sie auszu­blenden. Dieje­nigen, die gelernt haben, ihre Angst zu unter­drücken, wegzu­spüren, haben ein Denk‑, Fühl- und Verhal­tens­muster entwi­ckelt, das zum einen aus einer „überstei­gerten“, weil kindlichen Angst­dy­namik resul­tiert. Zum anderen haben sie Glaubens­sätze und Verhal­tens­muster entwi­ckelt, die sich im Erwach­se­nen­leben in verschie­denen Situa­tionen wieder­finden. Häufig ist dieses Muster jedoch unange­bracht oder der konkreten Situation nicht angemessen und stößt auf Irritation beim Gegenüber. Der Mensch stellt sich unbewusst selbst ein Bein.

Um angemes­senere Verhal­tens­muster zu entwi­ckeln – wer will nicht besser ankommen? – wird der Klient einge­laden, vorsichtig die blaue Brille beiseite zu nehmen und die Wucht des farbigen Lebens an sich ran zu lassen. Impulse von außen, z.B. durch ein Coaching zum Thema „Führungs­kräfte und Angst“, helfen zu verstehen, wie sich ein Muster entwi­ckelt hat und vor allem, wie ein neues, attrak­ti­veres und passen­deres Denken, Fühlen und Verhalten ausge­prägt wird.

2 Antworten

  1. Hallo,

    das ist ein sehr schöner Artikel. Ich selbst bin Führungs­kraft im Sozial ‑und Gesund­heits­wesen und musste mich auch einigen Fragen stellen. Dazu habe ich mir ein spezi­elles Coaching gegönnt. Ich kann das jedem nur empfehlen. Durch gezielte Schulungen kommt man ein ganzes Stück weiter und kann findet auch Wege besser mit dem Stress umgehen zu können. Ich habe dafür bei einer Führungs­kräf­te­ent­wicklung Hamburg teilge­nommen.

    Ich kann sowas generell jeder Supermann-Führungs­kraft 🙂 nur empfehlen!

    Grüße Birthe

  2. freut mich, dass ihnen der Artikel gefällt und ihre Anregung, sich persönlich im Umgang mit Ängsten und Stress weiter zu entwi­ckeln, können wir nur unter­streichen. Danke für ihr Beispiel!

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