Die Worte (Cultural) Change oder auch Kulturveränderung haben für viele ein Geschmäckle, denn im Grunde impliziert jeder Anspruch auf Veränderung Kritik an der Vergangenheit.
Aber, so Senior Berater Bernd Taglieber, Veränderungsdruck ist bedingt durch Veränderungen in der Umwelt. Veränderungen rücken die Entwertung des Vergangenen rücksichtslos in den Fokus. Gerade können wir das erleben durch die zunehmende Globalisierung und die digitale Revolution, die viele Menschen beängstigt und herausfordert.
Anpassung wird zu einer Bedingung für das Überleben. Es ist hilfreich und entlastend, diesen Unterton der Kritik am Vergangenen herauszunehmen und die Perspektive zu wechseln:
Nicht „wir haben es schlecht gemacht“, sondern „die Bedingungen haben sich verändert, darauf müssen wir Antworten finden.“
Bernd Taglieber: Was uns Kraft für die neue Herausforderung geben kann, ist die Erkenntnis, dass wir auch bereits in der Vergangenheit die Fähigkeit hatten, gute Antworten für die damalige Zukunft gefunden zu haben.
Change-Management – kurz CM genannt – im engeren Sinne bietet Ansätze und Konzepte zur Vorbereitung und Unterstützung von organisatorischen Veränderungen in einem Unternehmen, dies betrifft kleine und große Teams, einzelne Unternehmensbereiche oder die gesamte Organisation.
CM wird häufig gedacht als Werkzeug, um Verbesserungen vorzunehmen und decktein breites Spektrum an möglichen Maßnahmen ab. Die Vorstellung, ein Missstand werde “diagnostiziert” und einige “Eingriffe” bewirken, dass sich etwas verändert, und damit ein Wandel vollzogen sei, der Change Management Prozess also damit zu Ende sei, greift jedoch zu kurz.
Jede Organisation ist ein soziales System, das in Wechselwirkung mit der Umwelt steht. Im Fall von Unternehmen sind das die Gesamtheit der Menschen, die auf unterschiedliche Weise und mehr oder weniger häufig miteinander kommunizieren und in Verbindung stehen, die vielerlei Untergruppen bilden und verschiedene Arten von Beziehungen haben.
Dieses System ist von vielfältigen Rahmenbedingungen und Einflüssen umgeben, von Märkten und Lieferantenbeziehungen, Konkurrenzunternehmen, gesetzlichen Vorgaben, organisatorischen Strukturen und Hierarchien, politischen Entscheidungen, sich wandelnden gesellschaftlichen Einstellungen und vielem mehr, das sich in zunehmender Geschwindigkeit ändert.
Hier wird deutlich, dass Veränderungsdruck häufig von außen an Organisationen herangetragen wird und dass Veränderung im Grunde ein permanenter, normaler Zustand ist, nicht etwa ein isoliertes Projekt, das irgendwann abgeschlossen ist.
Es ist somit eine Lernaufgabe für die Organisation als Ganzes und für jeden einzelnen Menschen darin, mit sich schnell ändernden Anforderungen umzugehen und das wichtigste Mittel des Change-Managements zu beherrschen: gute Kommunikation.
Wird die Komplexität der Bedingungen, unter denen Menschen handeln, sich verhalten und entscheiden, vernachlässigt, kann ein Veränderungsprozess scheitern, denn allzu schnell werden einfache Lösungsansätze zu Schuldzuweisungen.
Hilfreicher ist es, zu fragen:
Warum handeln Menschen so und nicht anders? Wie haben sich die Regeln in der Organisation herausgebildet? Welche Verhaltensweisen sind erfolgreich, welche unter den neuen Bedingungen eher schädlich? Welche äußeren Einflüsse wirken? Wie geht das System mit den Rahmenbedingungen um, welche sind veränderbar, an welche muss es sich anpassen? Wie kann die neue Verhaltensweise zur Gewohnheit werden und die alten Gewohnheiten ablösen?
Jedes Unternehmen besteht aus Menschen, die handeln und entscheiden und somit kann ein Veränderungsprozess im Unternehmen nicht gelingen, wenn der Faktor Mensch außen vor bleibt. Die Mitarbeiter bringen Wissen, Kompetenzen und Erfahrungen über ihre tägliche Arbeit, über Störungen in Prozessen, Fehler an den Schnittstellen oder auch Sicherheitsrisiken mit, die einen Schatz bilden, den es zu heben gilt.
Ihre Motivation, die Bereitschaft oder gar Begeisterung, sich für Veränderung einzusetzen, haben großen Einfluss auf den Erfolg. Ohne das Mitwirken von Mitarbeitern und Führungskräften ist Cultural Change nicht möglich, ob es um die Etablierung einer neuen Sicherheitskultur geht, oder um eine konstruktive Fehlerkultur, die hilft, höhere Produkt- und Servicequalität zu erreichen und Ausschuss zu reduzieren, oder ob die Organisation an ihrer Lernkultur arbeiten möchte um die allgemeine Performance zu verbessern und um für die Herausforderungen der sich schnell wandelnden Märkte im Zeitalter der Digitalisierung mit einem “agilen Mindset” gerüstet zu sein.
Auch Menschen, die einer Veränderung offen gegenüberstehen, ertappen sich häufig selbst, wie sie in die alten Verhaltensweisen zurückfallen. Obwohl es jetzt das neue Computersystem gibt, hängen immer noch überall kleine Klebezettel. Trotz des neuen Organigramms ruft man immer noch die Person an, die schon immer weiterhelfen konnte, obwohl sie nicht mehr offiziell zuständig ist.
Man hat sich persönlich vorgenommen, dem Kollegen ab und zu eine postitive Rückmeldung zu geben, aber irgendwie doch oft wieder vergessen. All das liegt daran, dass Menschen und Organisationen Gewohnheiten haben – und die lassen sich nur schwer verändern. Bereits die Bitte, eine Gewohnheit zu verändern, ruft bei manchen Menschen Widerstand hervor.
Der Widerstand gegen Veränderungen kann erst recht groß sein, wenn in der Vergangenheit schon oft Neuerungen eingeführt wurden, aber irgendwie doch alles beim Alten blieb – schlechte Erfahrungen aus der Vergangenheit sind ein großer Hemmschuh, weil Menschen gelernt haben, wie ihr Unternehmen tickt.
Wurde zum Beispiel die neue Fehlerkultur etwa in der Mitarbeiterzeitschrift ausgerufen, in Hochglanzbroschüren gedruckt und von Podien verkündet, aber weiterhin wurde jeder, der einen Fehler macht, vor der Mannschaft “in den Senkel gestellt”, dann werden solche Vorhaben schnell unglaubwürdig.
Über den Erfolg oder Misserfolg der geplanten Kulturveränderung eines Unternehmens, ob in der Arbeitssicherheit, in der Qualität, in gesundheitsorientiertem Führungsstil oder auf dem Weg zu mehr Agilität, entscheidet das wahrnehmbare Verhalten der Führungskräfte und des Top-Managements.
Nur wenn diese glaubhaft die neue Unternehmenskultur vorleben, können Mitarbeiter erkennen, dass sich wirklich etwas verändert. Es geht im Kern um eine besondere Art der Führung und der Kommunikation.
Wer Veränderungen anstößt, , erwartet oft sofort sichtbare Ergebnisse. Ein erfolgreicher Change-Prozess berücksichtigt jedoch die Komplexität und das Beharrungsvermögen der Unternehmenskultur, die sich über Jahre herausgebildet hat. Diese Kulturmuster sind die Gewohnheiten der Organisation, die teils hilfreich, teils hinderlich sind, und die man nicht über Nacht verändern kann.
Daher ist es für die Unternehmen wichtig, zu verstehen, wie Wandel vonstatten geht. In einer Organisationsanalyse wird herausgearbeitet, welche Kulturmuster und Strukturen sich bewährt haben und beibehalten werden und welche mit Blick auf das neue Ziel besser verändert werden sollten.
Dabei ist es wichtig, mit Widerständen gegen Veränderung konstruktiv umzugehen und Sorgen und Bedenken ernst zu nehmen. Wenn ein Unternehmen neue Gewohnheiten lernt, ist Zeit für mehr und bessere Kommunikation nötig, aber auch für Fehler oder Rückfälle in alte Muster, über die wiederum gesprochen wird unter der Perspektive “wie bekommen wir das noch besser hin?”
Diese Zeit ist gut investiert, wenn die Beteiligten davon überzeugt werden, dass zwar ein längerer, aber auch ein lohnender Weg bevorsteht.
Welchen Einfluss Führungskräfte darauf haben, ob ein Change Prozess erfolgreich wird, kann man an der Gegenüberstellung zweier Extreme erkennen.
Ruft das Top-Management ein Veränderungsvorhaben aus, sei es “weniger Unfälle”, bessere Qualität und weniger Ausschuss”, “schnellere Produktentwicklung”, “Einführung neuer IT” oder andere Vorhaben, und dies wird vom Podium verkündet und mit einer engen Umsetzungsfrist versehen an die Belegschaft herangetragen, löst das meist schon Skepsis aus. Kommt dann noch ein Unterton von Geringschätzung des Vergangenen hinzu, und die Mitarbeiter bekommen das Gefühl vermittelt, dass alles bislang schlecht war, wirkt das demotivierend.
Dann fehlen nur noch Führungskräfte, die zwar eine Verhaltensänderung verlangen, aber sich selbst weiterhin so verhalten wie immer, und das Vorhaben wirkt unglaubwürdig. In vielen Organisationen werden Veränderungsprozesse als zukunftsentscheidend angekündigt, aber verlaufen immer wieder im Sand.
Daraus lernen die Menschen, dass es wohl doch nicht so wichtig und ernst sein kann, und wahrscheinlich schnell wieder Schnee von gestern sein wird.
Auf der anderen Seite kann eine gute Organisationsanalyse, bei der die Vergangenheit gewürdigt wird, die ehrliche Ansage, dass sich auch die Führungskräfte auf einen Lernweg machen, und eine gute Umsetzung, die Mitarbeiter erkennen lässt, dass auch ihre Chefs etwas anders machen als vorher, Begeisterung und Motivation frei setzen.
Wichtig ist, dass sich Führungskräfte Zeit nehmen, mit ihren Mitarbeitern kontinuierlich über den Change-Prozess zu kommunizieren, um die Vorteile der anstehenden Veränderungen zu vermitteln.
Wenn die Mitarbeiter verstehen, wie ihnen diese Veränderungen direkt zugute kommen, wenn sie merken, dass ihre Meinung gefragt ist, sie regelmäßig Rückmeldung zu Anregungen bekommen, auch dann, wenn diese mal nicht umsetzbar sein sollten, und wenn der Veränderungsprozess immer wieder Thema ist und Aufmerksamkeit bekommt, kann es gelingen, alle dafür zu begeistern und zu gewinnen.
Stabsstellen und Führungskräfte müssen zusammenarbeiten
Ob die Arbeitssicherheit einen Prozess zur Verbesserung der Sicherheitskultur anstößt, oder das Qualitätsmanagement eine neue Lernkultur in Bezug auf Produktqualität – die Zusammenarbeit mit den Führungskräften aller Hierarchieebenen ist entscheidend für den Erfolg.
Sie sind diejenigen, die durch management attention immer wieder die Aufmerksamkeit auf den Veränderungsprozess lenken und damit für alle Beteiligten die Wichtigkeit betonen. Die Fachleute aus den Stabstellen können die Prozesse kompetent begleiten, die Führungskräfte beraten und darauf achten, dass die neue Philosophie überall verstanden und gelebt wird.
Das eigene Verhalten ändern und so als Vorbild fungieren
Nur wenn Führungskräfte selbst mit Neugier und Lernbereitschaft an Change Vorhaben herangehen und dies entsprechend ihren Mitarbeitern vorleben, wird die Forderung nach Lern- und Veränderungsbereitschaft für alle anderen glaubwürdig.
Diese innere Haltung, die Bereitschaft, das eigene Rollenverständnis ein Stück weit zu verändern, ist nicht bei allen, ob Sicherheitsfachkräfte, Qualitätsmanager oder Führungskraft in der Produktion, automatisch vorhanden, sondern muss zunächst diskutiert und abgestimmt, aber auch ausprobiert werden.
Führungskräfte und das Top-Management zeigen als Vorreiter und Mitgestalter, dass eine innerbetriebliche Kulturveränderung zum Erfolg führen kann.
Mit dem Verändern der eigenen Rolle und des eigenen Verhaltens, der Bereitstellung von für den Lernprozess notwendigen Ressourcen und der ständigen Einbindung der Mitarbeiter lebt die Führungsebene eine konstruktive Fehler-, Lern- und Wertschätzungskultur vor.
Regelmäßige, offene Kommunikation z.B. bei Teammeetings, jours fixes oder anderen Formaten, sorgt dafür, dass der Veränderungsprozess immer im Fokus bleibt. Rückmeldungen zu den Fortschrittem werden für alle sichtbar, transparent und häufig zur Verfügung gestellt und besprochen, so dass jeder zum Mitdenken und zur gemeinsamen Verantwortung angeregt wird.
Wenn Mitarbeiter einen Missstand melden, wie beispielsweise eine unsichere Treppenstufe oder ein Qualitätsrisiko, so reagieren Führungskräfte möglichst zeitnah darauf, und sei es mit einer Zwischenmeldung zum Stand der Dinge. Allmählich lernen die Menschen so, dass sie ernst genommen werden und etwas bewirken können. Wenn dies zur neuen Gewohnheit wird, werden auch skeptische Menschen merken, dass sich etwas zum Positiven verändert hat.
Erst wenn eine solche Veränderung über einen längeren Zeitraum gelebt wird und zur neuen Normalität geworden ist, ist sie nachhaltig verankert und somit erfolgreich eingeführt. Mehr Wertschätzung und bessere Kommunikation, mehr Mitdenken und Mitverantwortung im eigenen Arbeitsbereich, führen dann auch dauerhaft zu mehr präventivem Denken, weniger Unfällen, weniger Ausschuss, besserer Zusammenarbeit über Schnittstellen hinweg – was immer der Ausgangspunkt für das Change-Vorhaben war.
In letzter Konsequenz steigert man durch mehr Zeit für Achtsamkeit und Kommunikation die Produktivität und Effizienz.
Wenn sämtliche Hierarchiestufen in den Veränderungsprozess mit einbezogen werden, wird deutlich, dass jedes Veränderungsvorhaben auf alle Schultern verteilt ist.
Führungskräfte sind wieder mehr in Kontakt mit ihren Mitarbeitern und erfahren von Störungen im täglichen Arbeitsprozess, die ihnen sonst nie bewusst geworden wären. Es rücken Themen ins Blickfeld, mit denen die Mitarbeiter sich bereits seit langem arrangiert haben, weil sie nicht die Macht hatten, etwas daran zu verändern.
Reibungsverluste an den Schnittstellen, Sicherheits- oder Qualitätsrisiken durch Provisorien, oder Schwierigkeiten in Arbeitsprozessen, Unfallrisiken durch unklare Informationen und Regeln sind nur einige Beispiele dafür, was in der Wahrnehmung der Hierarchie präsenter wird und angegangen werden kann.
Was auch immer die Gründe und konkreten Anlässe für den Wandel sind, es sind die Menschen, die die Veränderung in ihrem Alltag leben müssenWenn die Führung sich um diese Alltagsthemen kümmert, erfahren Mitarbeiter mehr Aufmerksamkeit für ihre Probleme und können letztlich ihre Arbeit besser machen. Sie lernen, dass Mitdenken und Schwierigkeiten ansprechen von ihren Vorgesetzten geschätzt wird und diese sich um Lösungen bemühen.
Ein solcher neuer Umgangs entfaltet eine starke Wirkung. Führung zwischen den Leitplanken Wertschätzung und Partnerschaftlichkeit auf der einen und Orientierung, Verbindlichkeit und Ausfüllen der eigenen Rolle auf der anderen Seite lässt eine neue Fehler- und Lernkultur entstehen, die bald alle Unternehmensbereiche durchdringt und Vorraussetzung dafür ist, dass ein Unternehmen in einer Welt bestehen kann, in der ständige Veränderung der Normalzustand ist.