Anerkennung und Wertschätzung oder „Muss ich denn jetzt den ganzen Tag nur noch loben?“

„Ich kann doch nicht den ganzen Tag nur noch loben“, „es muss doch echt mal gut sein“ oder „soll ich um den Mitar­beiter denn jeden Morgen einen Freudentanz aufführen, weil er zur Arbeit gekommen ist?“. So oder ähnlich lauten oft die Reaktionen in unseren Workshops mit Führungs­kräften, wenn es um Anerkennung und Wertschätzung geht.

Obwohl diese Reaktion immer — wenn auch nicht von allen Teilnehmern — kommt, verblüfft sie doch. Denn wir propa­gieren ja nicht, jeden Tag von früh bis spät nur noch zu loben. Vielmehr geht es darum, dass Anerkennung sich in sehr unter­schied­lichen Formen ausdrückt und Wertschätzung durchaus häufiger gezeigt werden könnte weil sie sich vorteilhaft auf die Unter­neh­mens­kultur und damit auch auf wichtige Unter­neh­mens­ziele auswirkt.

Woher kommt also diese häufige und teils heftige Erst-Reaktion aus Verall­ge­mei­nerung und Abwehr?

Warum fällt es uns so schwer, Wertschätzung zu geben oder zu empfangen?

Hierauf gibt die sogenannte „Stroke-Ökonomie“ von Claude Steiner eine Antwort. Mit „Strokes“ sind „Strei­chel­ein­heiten“ gemeint, die wir in diesem Artikel wiederum mit Anerkennung und Wertschätzung gleich­setzen wollen.

Steiner beschreibt, wie in unserer Gesell­schaft die Einstellung zu Anerkennung geben und Wertschätzung erhalten tradiert ist. Viele von uns haben von klein auf folgende Regeln als gültige und richtige Haltung verin­ner­licht:

1. Gib keine Strokes, auch wenn du gerne möchtest! (oder: …es sei denn, du musst!)

2. Bitte nicht um Strokes, auch wenn du sie brauchst!

3. Nimm keine Strokes an, auch wenn du gerne möchtest!

4. Lehne keine Strokes ab, wenn du sie nicht möchtest!

5. Gib dir selbst keine Strokes!

Übersetzt in die Worte, die wir alle in unsere Kindheit gehört und in unser Werte­gerüst übertragen haben, lauten diese Merksätze zum Beispiel: „Eigenlob stinkt“, „Hochmut kommt stets vor dem Fall“, „wenn einer der mit Mühe kaum, geklettert ist auf einen Baum, schon meint, dass er ein Vogel wär, so irrt sich der“, „dem Fuchs hängen die Trauben zu hoch“, „gib dem Affen Zucker“, „halt mal den Ball flach“, etc.

Offen zu zeigen, dass man sich und anderen etwas zutraut, dass man selbst etwas kann und andere auch, und das auch noch klar und deutlich zu sagen, ist in unserer Kultur also eher negativ besetzt und in manchen Fällen und Formen sogar regel­recht tabu.

Warum ist Wertschätzung überhaupt wichtig?

Dass es sich lohnt, sich an das Verändern dieses übermäch­tigen, kulturell veran­kerten Musters zu machen und Wertschätzung und Anerkennung zu stärken, hat der Trans­ak­ti­ons­ana­ly­tiker Eric Berne mit seiner Theorie unter­mauert.

Sein Modell zeigt auf, dass wir Menschen neben unseren körper­lichen Grund­be­dürf­nissen wie Schlafen, Essen und Trinken noch weitere, nicht weniger existen­ziell-bedeutsame, psycho­lo­gische Grund­be­dürf­nisse haben, er nennt diese auch „Grund­hunger“. Wir hungern einer­seits nach Stimu­lation, womit das Bedürfnis nach neuen Impulsen, Heraus­for­de­rungen und Außen­reizen gemeint ist. Anderer­seits brauchen wir Struk­turen, ein „Hunger“, der sich in einer Suche nach Orien­tierung, nach Grenzen und Halt äußert. Und letzt­endlich dürsten wir alle nach Anerkennung oder vielmehr nach Wahrge­nommen werden, nach Zuwendung und Wertschätzung.

Das Nicht-Erfüllen dieser psycho­lo­gi­schen Grund­be­dürf­nisse über längere Zeit, oder auch ein Ungleich­ge­wicht im Erfüllen der drei „Hunger­ka­te­gorien“, hat für jeden Menschen fatale Folgen. In wissen­schaft­lichen Studien wurde z.B. gezeigt, dass Babys, die keine Zuwendung erhalten, recht bald versterben oder dass Menschen, die sich aufreiben, dafür aber keine Wertschätzung erhalten, krank werden.

Oder – um es mit den Worten von Dirk Taglieber zu sagen – „Die Folter­knechte dieser Welt arbeiten mit dem Entzug dieser Grund­be­dürf­nisse“.

Welche Auswir­kungen hat es, dass Wertschätzung im Alltag oft untergeht?

In den Betrieben sind wir natürlich weit entfernt von den gerade genannten extremen Beispielen, doch kann man auch dort beobachten, dass die genannten Grund­be­dürf­nisse aus verschie­denen Gründen verschüttet und aus dem Blick geraten sind —  entweder, weil es gerade hohen Produk­ti­ons­druck gibt, „die Hütte brennt“, oder weil ständig andere Themen wie Qualität, Kosten­ef­fi­zienz oder Perso­nal­knappheit bearbeitet werden müssen.

Nicht umsonst äußern Mitar­beiter bisweilen Sätze wie „ich wäre ja schon froh, wenn mir mein Chef mal die Tageszeit, sprich ein guten Morgen oder ein hallo, sagen würde …“

Durch Anerkennung und Wertschätzung wird aller­dings nicht nur ein angeneh­meres Arbeits­klima sozusagen als Selbst­zweck und „Wohlfühloase“ geschaffen, sondern hier liegt ein riesiges Potenzial an Effizienz- und Profi­ta­bi­li­täts­stei­gerung brach. Ein Beispiel: ein Mitar­beiter gibt seiner Führungs­kraft Hinweise zu Verbes­se­rungs­po­ten­zialen oder meldet Risiken und Mängel, die dringend behoben werden sollten. Die Führungs­kraft kümmert sich engagiert darum, versäumt es aber, ihrem Mitar­beiter eine Rückmeldung zur Umsetzung zu geben. Gerade wenn die Umsetzung sehr lange dauert, in anderer Form als vom Mitar­beiter gedacht geschieht oder aus irgend­welchen Gründen sogar abgelehnt wird, entsteht dann bei diesem Menschen der Eindruck, dass sich eh keiner kümmert, dass es sich also nicht lohnt, etwas zu melden oder sich in irgend­einer Weise zu engagieren. Es entwi­ckelt sich das, was wir „gelernte Hilflo­sigkeit“ nennen.

Die Mitar­beiter lernen so über die Erfah­rungen, die sie machen, dass sie und ihre Gedanken nicht wichtig sind. Irgendwann, eher früher als später, lassen sie das Mitdenken sein. Mitar­bei­tende, denen unter­stellt wird, dass sie kein Interesse am Unter­nehmen haben, sind häufig Mitar­bei­tende, denen man unabsichtlich die Motivation zum Mitdenken abtrai­niert hat.

Formen der Wertschätzung – ein Stein­bruch an Möglich­keiten

Für jeden, der sich mehr Eigen­in­itiative, Mitdenken und Motivation im Team wünscht, lohnt es sich also, etwas inten­siver darüber nachzu­denken, wie und wodurch Anerkennung und Wertschätzung ausge­drückt werden können.

Nur einige Beispiele von Formen der Wertschätzung, die die Teilneh­menden unserer Workshops zusam­men­ge­tragen haben, ohne Anspruch auf Vollstän­digkeit:

Interesse zeigen, zuhören, nachfragen, auch mal ein privates Wort wechseln, sich kümmern, zeitnahe Rückmel­dungen geben, infor­mieren, einbe­ziehen, weiter­ent­wi­ckeln, jemanden fordern, einen Daumen hochhalten, etc.

Das verbale Lob im engeren Sinne taucht in der Liste meistens nur noch unter „ferner liefen“ auf. Insoweit erweisen sich die oben genannten Eingangs­sätze mit den Befürch­tungen, man müsse „den ganzen Tag nur loben“ schnell als unbegründet. Natürlich freuen wir uns alle über ein aufrichtig gemeintes, expli­zites Lob, doch es geht im Alltag um viel, viel mehr.

Wertschätzung als Erfolgs­konzept anwenden

Die verschie­denen Ausdrucks­formen von Anerkennung und Wertschätzung zu kennen, ist wichtig, um damit jonglieren zu können, um heraus­zu­finden, was zur eigenen Persön­lichkeit passt und was authen­tisch ist, um in der täglichen Führungs­arbeit (aber natürlich nicht nur da) ein neues Verhalten zu entwi­ckeln. Und ja, vielleicht fühlt sich manches in der Anfangs­phase noch komisch an, einfach weil es sehr ungewohnt ist für jeden, der mit „nicht geschimpft ist gelobt genug“ aufge­wachsen ist. Vieles verlangt nach bewusstem Tun, nach Aufmerk­samkeit und Konzen­tration, und das bedeutet vor allem zu Anfang auch „Arbeit“. Wer die Vorteile dieser Verän­derung sieht und sich Zeit gibt, wird nach einer gewissen Trainings­phase neue Gewohn­heiten entwi­ckeln, die irgendwann für alle Betei­ligten selbst­ver­ständlich werden.

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